Lockruf des Skandals

Bei kaum einem Gegenstand der Berichterstattung dürften Erlebnisse von Betroffenen und Darstellung in den Medien so weit auseinander klaffen wie beim Thema Visa-Vergabe.

von Tim Gerber

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Medienvertreter umringen CDU-Obmann Eckehardt van Klaeden.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab’s kaum mehr eine so große Bedrohung aus dem Osten wie in den letzten Monaten im Zuge der so genannten Visa-Affäre. Fast wie einst vor 60 Jahren fallen Ukrainer und Russen in Herscharen in die Wohnzimmer ahnungsloser deutscher Zeitungsleser und Fernsehzuschauer ein. Eine angeblich viel zu lasche Visa-Praxis der rot/grünen Regierung ist Schuld, und deshalb bestimmen nicht etwa mehr Behörden oder Konsulate oder im Notfall auch Gerichte, wer einreiseberechtigt ist und wer nicht. Das besorgt seit ein paar Monaten die vierte Gewallt, die Medien, ganz allein und völlig unkontrolliert. Der "Spiegel" schreibt von "ein paar hunderttausend Menschen, die nie nach Deutschland hätten kommen dürfen". "Hunderttausende Menschen aus den GUS-Staaten wurden so, organisiert von hochkriminellen Banden, nach Deutschland eingeschleust." sekundiert die "Süddeutsche". Und ohne viel Federlesen wird von der Quantität auf die Qualität geschlossen. Die Zahlen der in Kiew erteilten Visa präsentiert die "Süddeutsche" auf ihrer Homepage noch immer unter dem Titel "Deutsches Visum leicht gemacht", eine ähnliche Grafik betitelt der "Spiegel" mit "Schleusen auf". Passend dazu dazwischen der Werbespruch eines Autoherstellers "Schön, dass Deutschland so viele kompetente Entscheider hat".

Von den Spalten des "Spiegel" aus "entfaltet sich ein Skandal, der auf vertrackte Weise ukrainische Schlepper und schwäbische Geschäftemacher verbindet, osteuropäische Zwangsprostituierte und hochfahrende Diplomaten". Natürlich liefert der "Spiegel" auch die echte Zwangsprostituierte Irina mit, nur fehlt ihr die vertrackte Verbindung zu den erwähnten Diplomaten und Geschäftemachern. Und die zum Titelhelden Fischer sowieso.

"Und alle Schleusen offen", titelte kurz darauf die "Zeit" und behauptet, die so genannten Reiseschutzpässe seien für die Versicherung ein "gefahrenarmes" Geschäft gewesen, "da ein Großteil der Visuminhaber nach dem Grenzübertritt in der Illegalität verschwand". Die Autorin hat offenbar die Funktion dieser Versicherungen im Visa-Verfahren nicht verstanden. Ihre Argumentation ist schlicht unlogisch, weil die Versicherung für eventuelle Abschiebekosten hätte einstehen müssen und das Risiko daher mit jedem Illegalen steigt und nicht sinkt. Macht aber nichts. Von den Reiseschutzpässen sind in Kiew im fraglichen Zeitraum von Mitte 2001 bis Mitte 2002 etwa 35.000 bis 40.000 verkauft worden, sagt ein Verteidiger des Anbieters. Freifahrtschein für Hunderttausende können sie dann aber schwerlich gewesen sein.

Und überhaupt die Schleuser-Urteile: Eine Anfrage beim später ausgewechselten Unions-Obmann im Untersuchungsausschuss Jürgen Gehb Mitte Januar förderte rasch eine Faxantwort mit mundgerechten Zitaten aus mehreren dieser Urteile zu Tage. Für kritische Journalisten wäre nun zu prüfen gewesen, inwieweit über die darin behauptete lasche Visa-Praxis, mit denen die Gerichte Strafmilderungen begründet hatten, in den Verfahren überhaupt Beweis erhoben wurde. Oder ob sie nicht auf einen geschickten Verteidigervortrag zurückzuführen sind, dem das jeweilige Gericht aus welchem Grund immer gefolgt ist. So ähnlich ist es am Landgericht Memmingen aus Gründen der sogenannten Prozessökonomie offenbar auch gelaufen. Doch das hat nicht etwa der Chefaufklärer der "Süddeutschen" herausgefunden, sonder der Untersuchungsausschuss in öffentlicher Sitzung, und war Hans Leyendecker im Nachgang keine Zeile wert, eben so wenig wie den Webseiten der "F.A.Z" und der "Welt".

In Zeiten des Internet sind solche Informationen allerdings schwerlich wirklich zu unterdrücken. So geht die Informationsschere in der Gesellschaft immer weiter auf. Die Schleuser-Urteile dürften jedoch selbst unter Journalisten die wenigsten in vollem Wortlaut kennen, denn sie werden von den Justizbehörden unter Verschluss gehalten. Ihre Verbreitung ist laut Sprecher der Staatsanwaltschaft Köln "illegal".

Einen Beleg dafür, dass sich hunderttausende Osteuropäer ein Visum erschlichen hätten und dieses zum Schaden der Deutschen missbrauchten, können indessen auch die Schleuser-Urteile kaum liefern. Denn wo immer es um konkrete Zahlen geht, kommen ein paar hundert, allenfalls ein paar tausend Fälle zusammen. Hundertstel- und Tausendstel-Bruchteile der behaupteten Hunderttausenden also. Laut "Spiegel" soll der in Köln verurteilte Schleuser knapp 7000 Leuten zu einem Visum verholfen haben, in einem Zeitraum, in dem in Kiew über eine halbe Million Visa erteilt worden sind.

Wo die absoluten Zahlen nicht helfen, müssen Prozente her. So schreibt kein geringerer als Chefaufklärer Leyendecker selbst am 15. Januar in der "Süddeutschen": "Bei so genannten Visumsbeanstandungen [bei der EU-Kommission, T.G.] war im Jahr 2002 festgestellt worden, dass in 95 Prozent aller Fälle die Illegalen deutsche Papiere zeigten. Die nächst größere Gruppe mit knapp zwei Prozent hatte französische Visa." An anderer Stelle schreibt er von 50 bis 95 Prozent. Was sagen diese Zahlen also? Nichts. Denn schon die Basis, auf denen die Prozentrechnung bassiert, ist viel zu klein, um daruf seriöse Aussagen zu treffen. Und schließlich haben die Deutschen unter den Schengen-Ländern auch mit Abstand die meisten Verwandten in Osteuropa, hunderttausende davon, um ganz genau zu sein.

Die Berichterstattung über den Untersuchungsausschuss selbst folgt derweil der Masche schlechter Kriminalberichte: Vorab, also vor den eigentlichen Gerichts- oder Ausschuss-Sitzungen wird aus allen Rohren geschossen, was wer gegen wen wird aussagen wollen. Doch wer sich einmal selbst in eine der Sitzungen begibt, muss erstaunt feststellen, dass Journalisten auf den Zuschauerrängen mitunter eine spärliche Minderheit zwischen Parlamentsbeobachtern aus Ungarn, Schülergruppen und anderen Besuchern bilden.

Nur eine Hand voll Agentur-Kollegen greift ein paar knackige Zitate ab um nach kurzer Zeit zu verschwinden. Erlaubt ist, was polarisiert. Zwischendurch gibt’s immer wieder die Interpretationen der jeweiligen parteipolitischen Akteure, mundgerecht für Kamera und Notizblock. Mit dem, was ein ausdauernder Beobachter in den Sitzungen beobachten kann, hat das wenig zu tun. Doch dafür hat unter den professionellen Beobachtern kaum einer Zeit. Die Medienmacher sind von ihren Redaktionen auf schnelle Schlagzeile getrimmt, den für eine gesunde Medienlandschaft lebensnotwendigen Luxus einer ausdauernden Beobachtung und ausführlichen Reportage leistet sich schon lange niemand mehr.

Kein Wunder also, dass die Öffentlichkeit so gut wie nichts über die teilweise brillanten Ausführungen des deutschen Botschafters in Kiew Dietmar Stüdemann vor dem Ausschuss erfährt. Die Regie der Berichterstattung hat zu diesem Zeitpunkt der Vatikan oder gar eine noch höherer Stelle übernommen: Am Tag zuvor ist Joseph Ratzinger zum Stellvertreter Gottes auf Erden erwählt worden. Da darf der deutsche Botschafter beim Vatikan und Ausschuss-Zeuge Gerd Westdickenberg natürlich nicht fehlen und wird vorgezogen. Die zuvor in zahlreichen Berichten als ausgesprochen wichtig und für Fischer und Co. höchst belastend angekündigten Zeugen von Studnitz, früherer Botschafter in Moskau, und Stüdemann kommen erst am Nachmittag zum Zuge, und damit viel zu spät für Zeitungen und Agenturen.

Nichtsdestotrotz geht bereits um 12:02 Uhr ein AP-Bericht über die Sitzung auf den Seiten der "Süddeutschen" online. Zu dieser Zeit hat der Unionsobmann von Klaeden im Untersuchungsausschuss gerade einmal dem eiligen Botschafter am heiligen Stuhl seinen läppischen "Gruß an Benedikt" hinterher rufen können. Im gesamten Medienecho zur folgenden Vernehmung bleibt es vornehmlich bei Wiederholungen der sattsam bekannten Vorankündigungen, wonach Fischer von den Aussagen beider Botschafter "weiteres Unheil" drohe. Dabei werden die Vorab-Zitate so geschickt zwischen Randnotizen vom Sitzungsbeginn drapiert, dass der unbedarfte Leser den Eindruck erhält, der Verfasser habe von Morgens bis Abends im Saal gesessen.

Ex-Botschafter von Studnitz im Untersuchungsausschuss:
"Medien lassen sich von Experten ihre eigene Berichterstattung bestätigen."

Aber davon kann natürlich keine Rede sein. Und so erfährt man auch beispielsweise mit keiner Silbe davon, dass sich Stüdemann im Untersuchungsausschuss vehement gegen die Bezeichnung "massenhaft" im Zusammenhang mit den Fällen von Visa-Missbrauch an seiner Botschaft zu Wehr setzt. Botschafter a. D. von Studnitz hatte zuvor dem "Spiegel" im Bezug auf die Visa-Regeln des Auswärtigen Amtes gesagt: "Offenbar hat man die Augen einfach vor der Realität verschlossen, als die ersten Probleme auftauchten. Das Phänomen gibt es ja oft, wenn ideologische Elemente in die Politik einfließen." Im Ausschuss musste von Studnitz einräumen, dass es sich bei dieser viel zitierten Äußerung um seine nachträgliche Beurteilung der Zustände in Kiew gehandelt habe, die er aber wiederum nur aus den Mediendarstellungen der letzten Monate gekannt habe. Mit anderen Worten: Medien lassen sich von vermeintlichen Experten ihre eigene Berichterstattung bestätigen.

Diese Art der Vorab-Berichte unter Zuhilfenahme so genannter Experten treibt noch ganz andere Blüten. Zwar ist beispielsweise das Zitieren wesentlicher Bestandteile von Anklageschriften vor Eröffnung eines Hauptverfahrens aus gutem Grund strafbar, aber das lässt sich ja umgehen. In diesen Schriften steht aus Sicht der Staatsanwaltschaft beschrieben, was diese glaubt, im Hauptverfahren beweisen zu können. Das geht aus den verschiedensten Gründen nur zu oft schief, und Berichte, die sich allein auf solche Schriften stützen, verstoßen daher eindeutig gegen das Prinzip der Unschuldsvermutung und sind ein Verstoß gegen den Pressekodex. Der wohl größte Gerichtsreporter der Nachkriegszeit, Gerhard Mauz, hat zeit seines Lebens vor diesen Tendenzen zur Vorab-Berichterstattung auf Basis von Anklageschriften gewarnt: "Maßgeblich für den Gerichtsreport muss die Hauptverhandlung bleiben", betonte er immer wieder – und leider zunehmend vergeblich.

Ein Beispiel aus "Report Mainz" vom 21.03.2005: "... in wenigen Wochen beginnt ein neuer Schleuser-Prozess – mit dieser Anklageschrift, bislang nur Insidern bekannt. Darin werden erneut Vorwürfe gegen Fischers Behörde erhoben. Die Staatsanwaltschaft spricht offen von Behinderung ihrer Ermittlungen. ‚Report Mainz’ bittet Experten, diese Anklageschrift zu bewerten."

Folgt ein O-Ton des selbst unter den Staatsrechtlern als erzkonservativ geltenden Professors Jörn Ipsen dazu: "Sie hat mich überrascht und sie hat mich entsetzt, weil ich es nicht für möglich gehalten hätte, dass in einem Rechtsstaat Visa flächendeckend, gegen das geltende Recht verstoßend erteilt werden." Zu diesem Zeitpunkt hat das Landgericht Köln gerade erst darüber befunden, ob es die Anklageschrift, in der nämliches behauptet wird, überhaupt zulassen will und ein Hauptverfahren eröffnet. Ob es diesen Tatbestand jemals als erwiesen ansehen wird, darüber wird man frühestens in ein paar Monaten sprechen können.

Wer den Rechtsgelehrten Ipsen als Anwalt der Gemeinde Liebertwolkwitz vor dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen im Streit um deren Eingemeindung erlebt hat, weiß, dass jegliche Veränderung des Bestehenden in seinen Augen im Grunde ein Verfassungsbruch ist, und wird sich über einen solchen Kommentar aus diesem Munde kaum wundern. Der unbedarfte Zuschauer jedoch bekommt absichtsvoll den Eindruck vermittelt, da hätten die rot-grünen Regierungsstrolche mit Hilfe finsterer Osteuropäer etwas ganz Übles vom Zaum gebrochen. Mag ja sein, aber woher sollte ausgerechnet Staatsrechtslehrer Ipsen etwas darüber wissen?

Im Untersuchungsausschuss auf der Zuschauerbank:
Vertreter der Bundesregierung

Die Unschuldsvermutung ist jedenfalls auch im vermeintlichen Qualitätsjournalismus schon seit einiger Zeit kaum einen Pfifferling mehr wert. Für die "unheimlich vielen, die zu uns kommen" (Claus Kleber im "heute-journal") hat sie ohnehin nie gegolten. Und so darf weiter an den Fakten vorbei von der "laschen Visa-Praxis" berichtet werden. Zum Beweis, dass die Visa-Beamten weisungsgemäß weggesehen haben, sollen offensichtlich getürkte Reiseziel-Angaben in den Anträgen herhalten: die inzwischen berühmten "Bürge von Rhein", das Zeppelin-Museum in Frankfurt und so weiter. Laut Zeugenaussage haben die Beamten tatsächlich weggesehen, aber nicht etwa auf Geheiß Fischers und Volmers, sondern auf Bitten deutscher Ermittlungsbehörden zum Zweck der Beweissicherung. Botschafter Stüdemann sprach von "einigen tausend Fällen", in denen sich seine Botschaft absichtlich "blind gestellt" habe. Die einzige wirklich augenscheinlich laxe Visa-Vergabe fand wohl im geordneten Rahmen eines Strafverfahrens statt. Wer klärt’s auf? Vermutlich keiner.

"Sehr peinlich für den deutschen Journalismus" findet denn auch der Schriftsteller Wladimir Kaminer ("Russendisko") in einem Interview die Visa-Affäre. Dabei sind von den Berichten eine nicht eben kleine Minderheit der Deutschen, die sogenannten Spätaussiedler, und die jüdischen Kontingentflüchtlinge, sehr betroffen. Dieser Umstand wird in der ganzen Debatte völlig ausgeblendet, bewusst oder nicht. Man liest jedenfalls nichts darüber, obwohl solche Tatsachen immer wieder und nicht zuletzt von zuvor als hochwichtig eingestuften Zeugen wie Botschafter Stüdemann ausführlich vorgetragen wurden: Das Gros der hunderttausenden Visa, die jährlich zwischen Alma-Ata und St. Petersburg, zwischen Novosibirsk und Minsk ausgegeben werden, gehen auf die Kappe von Familienbesuchen.

Weil diese hunderttausende Familienangehörige und Freunde naturgemäß jedes Jahr kommen und wieder gehen, taugen sie zwar kaum für die medialen Bedrohungsszenarien, sind aber die Leidtragenden dieser "verschwitzten Debatte" (Kaminer). Der Vorgang macht deutlich, wie rücksichtslos noch so berechtigte Minderheiteninteressen im Medienmainstream untergekehrt, ja mit den Füßen getreten werden, wenn nur der große Skandal lockt und als Trophäe womöglich gar der Kopf eines Ministers winkt. Journalisten sind dabei oft Täter und Opfer zugleich. Einerseits werden sie gezielt mit Zitaten aus Akten gefüttert, an deren vollständige Originale sie kaum gelangen können. Anderseits schreiben sie dankbar und unkritisch aus solchen Konglomeraten ab, weil der zunehmende Trend zur Skandalisierung und die interne wie externe Konkurrenz sie dazu zwingen.

Dabei wären beispielsweise Berichte von Betroffenen im Grunde recht leicht zu bekommen. "Die Kenntnisse und Erfahrungen unserer Mitglieder sowie jene aus unserer Beratungspraxis stehen im Widerspruch zu der öffentlich dargestellten Behördenpraxis.", schreibt beispielsweise der Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf) auf seiner Homepage (www.verband-binationaler.de). "Von einer Erleichterung des Visa-Verfahrens können wir nicht berichten", heißt es weiter. Der iaf berät seit über 30 Jahren Menschen mit familiären Auslandsbeziehungen. Aber wo man auch in den Medien sucht, Berichte von Betroffenen, die von Reiseerleichterungen in den letzten Jahren kündeten, sind nicht zu finden.

Woher also wissen "Spiegel", "Süddeutsche", "Report Mainz", "Frontal 21" und viele, viele andere Publikationen von der "laschen Visa-Praxis", von der seit Anfang Februar unablässig und gebetsmühlenhaft die Rede ist? Von Betroffenen wollen sie jedenfalls nichts wissen. Eine Fernsehjournalistin, die Anfang des Jahres erfolglos versucht hatte, den Fall einer deutsch-russischen Familie bei einem Dutzend von Sendern und Redaktionen unterzubringen, berichtet lakonisch von ihren Erfahrungen: "Ja, wenn ich denen eine Zwangsprostituierte aus der Ukraine geliefert hätte – aber eine russische Babuschka mit deutschen Enkeln will keiner haben." Dabei hätte die Geschichte alles gehabt: jede Menge human touch und Visa-Trouble – aber eben alles andere als Reiseerleichterungen.

Da schickt man lieber mal eben einen Reporter an den vermeintlichen Hort der schnellen Visa, beispielsweise Moskau. Doch leider schaffen es die Berichterstattungsprofis dann erst am Mittag aus ihren Hotelbetten zum Konsulat und drahten nach Hause: Kaum Andrang, entspannte Atmosphäre. Aber die Antragsannahme ist von acht bis eins -- Journalismus ist entgegen anders lautender Klischees eigentlich ein Job für Frühaufsteher. Und im Übrigen müssen sich Visa-Antragsteller in Moskau schon seit Jahren zuerst einen Termin besorgen, seit einigen Monaten geht dies nur noch über eine kostenpflichtige Telefonnummer (zwei Euro/Minute). Auch das bleibt in den Berichten unerwähnt.

Die deutsche Medienlandschaft zeigt jedenfalls mit dem "Visa-Skandal" ihre enorme Kampagnenfähigkeit einerseits und andererseits ihre enorme Unfähigkeit, wichtige und komplexe Zukunftsfragen wie die eines modernen Visa-Managements sachlich zu diskutieren. Sie ist damit ein fast perfekter Spiegel der deutschen Gesellschaft, die laut Kaminer lieber "schlecht gelaunt" ausstirbt, "als junge Ausländer hereinzulassen, die den Laden hier wieder in Schwung bringen."

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